Beziehungen verändern sich im Laufe der Zeit. Verschiedene Phasen in der Beziehung halten unterschiedliche Herausforderungen bereit, die manche Paare meistern und an denen andere Paare zerbrechen: Diese durchlaufen anschließend auch die Phasen der Trennung. Im Alltag und im Gefühlsleben finden Veränderungen statt, die euch einiges abverlangen. Expertinnen und Experten haben die verschiedenen Phasen immer wieder zusammenzufassen versucht, daher gibt es viele Betrachtungsweisen. Von drei bis neun „typischen Beziehungsphasen“ kannst du alles finden. Wir haben die wichtigsten zusammengefasst und kommen auf sechs.
1. Der Himmel voller Geigen
Ihr habt euch gerade kennengelernt, habt euch vorsichtig angenähert, euch ineinander verliebt. Die vorherrschenden Gefühle sind Herzklopfen, Sehnsucht, Schmetterlinge im Bauch. Ihr reitet auf einer Dopaminwelle und badet durch viel Kuscheln und Streicheleinheiten quasi im Kuschelhormon Oxytocin. Das Sexualleben läuft meist sehr gut.
Das ist herrlich. Allerdings sorgen die Hormonausschüttungen dafür, dass euer Urteilsvermögen etwas eingeschränkt ist. Gewisse Eigenheiten am Gegenüber findet ihr süß und überhaupt nicht nervig. Klare Warnungen der anderen Person („Ich weiß, dass ich schnell eifersüchtig werde“ oder „Manchmal brauch ich Freiraum und dann zieh ich mich ohne Ansage zurück“) werden oft nicht für bare Münze genommen. Oft findet man sogar toll, dass das Gegenüber so ehrlich ist – ohne zu reflektieren, wie man selbst mit einem solchen Verhalten umgehen könnte. Oft geht ihr davon aus, dass in eurer Beziehung eh alles ganz anders wird.
Diese erste Phase kann, abhängig von verschiedenen Einflüssen, rund drei bis 18 Monate dauern.
2. Die Ernüchterung
Ihr habt euch etwas aneinander gewöhnt, das Herz springt nicht mehr wie wild bei jedem Sehen. Der erste Rausch ist vorbei, der Blick wird wieder etwas klarer. Wir erkennen langsam Schwächen beim Gegenüber und nehmen Eigenheiten wahr, die wir eher nervig als süß finden. Der Drang, dauernd miteinander ins Bett zu gehen, lässt langsam nach – ihr schaltet abends auch gern mal eine Serie ein. Bei manchen Paaren ist der Libidoverlust hier schon alarmierend, was oft ein schlechtes Zeichen ist.
In dieser Phase beginnen wir zu hinterfragen, ob unsere Ziele im Leben sich ähnlich genug sind, dass wir sie zu zweit anstreben können. Wir müssen herausfinden, ob die Beziehung uns genügend Sicherheit bietet und vor allem, ob die beidseitige Wertschätzung hoch genug ist: Paare, bei denen beide sich gegenseitig respektieren und hoch schätzen, haben eine gute Chance, unschöne Phasen zu überstehen.
Die Phase der Ernüchterung folgt meistens irgendwann im zweiten Beziehungsjahr.
3. Anpassung und Kompromisse
Was ist verhandelbar, was nicht? Ihr müsst nun herausfinden, ob ihr euch in den wichtigen Dingen auf einen Nenner einigen könnt. Ist etwas einer Person wichtig und der anderen nicht so, fällt es letzterer meist nicht schwer, sich anzupassen. Schwierig ist es, wenn ihr grundsätzlich völlig verschiedener Ansicht seid, was einen bestimmten Punkt angeht. Hier müsst ihr herausfinden, ob ihr einen Kompromiss finden könnt. Es kann zu Verstimmungen, Meinungsverschiedenheiten und Streit kommen – bei manchen Paaren leidet das Sexualleben darunter, andere lieben leidenschaftliche Versöhnungen.
Manche Menschen gehen davon aus, dass sie die Partnerin oder den Partner „erziehen“ oder „zurechtbiegen“ können. Das ist zum Scheitern verurteilt: Erwachsene Menschen lassen sich nicht durch Druck verändern. Veränderung ist nur dann möglich, wenn jemand das selbst möchte, und die Macht der Gewöhnung ist sehr groß. Daher haben vor allem solche Beziehungen eine gute Chance, in denen keine Person Verhaltensweisen hat, die die Partnerin oder der Partner nicht zumindest akzeptieren könnte. Durch “Erziehungsversuche” durch die Partnerin kommt es relativ häufig zu sexueller Unlust beim Mann: Er hat das Gefühl, so, wie er ist, nicht gut genug zu sein. Darauf reagiert er mit Abkehr.
Die Phase der Anpassung und des Kompromissefindens kann sich hinziehen – manchmal über Jahre. Wer sich hier zusammenrauft, geht oft den nächsten Schritt gemeinsam, kauft etwa ein Haus oder macht sich an die Familienplanung.
4. Akzeptanz und Funktionieren
Paare, die eine Familie gründen, treten nun in eine intensivere Phase ein als Paare, die sich gegen Kinder entscheiden: Sie stellen ihre eigenen Bedürfnisse zurück, um sich um das Wohl ihres Nachwuchses zu kümmern. Da Arbeit, Haushalt, Kinder und tausend andere Dinge im Alltag Aufmerksamkeit fordern, bleibt niemandem viel Zeit für sich. Auch finden die Eltern häufig nicht viel Zeit füreinander als Paar. Das ist eine Belastungsprobe, die für viele Beziehungen sehr anstrengend ist.
Häufig leidet in dieser Phase das Sexualleben: Zu viele andere Dinge beanspruchen die Aufmerksamkeit und fressen die Energie – ganz abgesehen vom Zeitfaktor. Ihr habt größere Chancen als Paar, wenn ihr es weiterhin schafft, Zärtlichkeiten in euren Alltag zu integrieren: Physische Nähe unterstützt psychische Nähe. Gerade durch die Mehrfachbelastung aus Muttersein, Haushalt und Job kommt es in dieser Beziehungsphase häufig zu sexueller Unlust bei der Frau – dem lässt sich durch eine gerechte Aufgabenverteilung aber entgegenwirken.
In dieser Phase werden nur selten Grundsatzdiskussionen geführt: Viele Paare haben das Gefühl, dass dafür gerade kein Raum und keine Zeit ist. Sie haben Angst, damit über ihre Kapazitäten zu gehen. Hier funktionieren solche Paare besser, die sich in der vorangegangenen Phase über vieles geeinigt haben und die insgesamt wertschätzend und sanft miteinander umgehen.
Wie lange diese Phase dauert, ist von individuellen Faktoren abhängig – unter anderem von Anzahl und Alter der Kinder und von der beruflichen Belastung.
5. Die eigene Persönlichkeitsentwicklung
Ob mit Kindern oder ohne: In den meisten Beziehungen kommt es zu Zeiten, in denen die eigene Persönlichkeitsentwicklung ein bisschen zurückstehen muss. Auf die Dauer ist das aber nicht gesund: Früher oder später bricht sich das Bedürfnis danach Bahn. Hier ist es wichtig, dass die Partner sich gegenseitig Raum zum Ausprobieren und zur freien Entfaltung geben.
Es können gemeinsame Aktivitäten sein, die den Alltag bereichern, aber auch solche, der die Partner jeweils allein nachgehen. Unterschätzt hier nicht die Kommunikation! Es gilt, einem gewissen Gefühl der Zurücksetzung vorzubeugen. Hier funktionieren Paare am besten, die sich für ihr Gegenüber freuen können, wenn es etwas gefunden hat, was ihm Spaß macht.
Wer eigene Aktivitäten finden oder neue Hobbys entwickeln möchte, muss dabei die Partnerin oder den Partner im Blick behalten. Du kannst zum Beispiel nicht in einer monogamen Beziehung deine Vorliebe für Swingerclubs entdecken und ohne Absprache davon ausgehen, dass dein Schatz sich für dich freut. Dein Verhalten sollte also eure gemeinsam gesteckten Grenzen respektieren.
Ein Risiko besteht in dieser Phase darin, dass eine Person sich so weit von der anderen entfernen und sich so gut dabei fühlen könnte, dass ihr die Trennung als wünschenswert erscheint. Dem lässt sich allerdings nicht entgegenwirken, indem man der Partnerin oder dem Partner Dinge „verbietet“: Einengung ist ein sicheres Mittel, einen Menschen von sich wegzutreiben. Besser ist es, wenn beide Partner sich in der Beziehung und im gemeinsamen Heim so wohlfühlen, dass sie gern immer wieder zurückkehren. Daran müsst ihr gemeinschaftlich arbeiten. Vernachlässigt dabei auch die alltäglichen Zärtlichkeiten nicht: In dieser Phase des Auseinanderstrebens kann es sonst leicht zu einer Trennung wegen fehlender Sexualität kommen.
Wann diese Phase auftritt und wie lange sie anhält, lässt sich bereits nicht mehr pauschalisieren.
6. Die enge Bindung
Die Anpassungskämpfe sind lange beendet, das Zurückstellen und das spätere Entfalten der eigenen Persönlichkeit sind durchlebt. Paare, die sich in all dieser Zeit gegenseitig unterstützt haben, haben sich zwischenzeitlich voneinander entfernt, ohne sich je ganz loszulassen. Sie haben nun die Muße, sich aus freiem Willen einander wieder anzunähern, und zwar auf einer guten und sicheren Basis: Das gemeinsam Erlebte bietet eine belastbare Grundlage, das Wir-Gefühl bietet Sicherheit.
Paare, die diese Phase in einem Zustand des gegenseitigen Respekts und der gegenseitigen Anziehung erreichen, haben den Jackpot gezogen: Sie bringt so schnell nichts mehr auseinander. Sie lieben das ganze Gegenüber mit Werten, Talenten, Persönlichkeit und Eigenheiten. Sie wissen, dass sie sich aufeinander verlassen können, und sind zwar eigenständige Personen, aber auch unabdingbar Teil einer Einheit.
Paare, die immer schon viel Wert auf eine liebevolle und zärtliche Beziehung gelegt haben, pflegen auch in dieser Phase weiterhin ihr Sexualleben (falls sie nicht übereinstimmend irgendwann darauf verzichten). Es ist nicht mehr so ausufernd leidenschaftlich wie zu Beginn der Beziehung, kann aber sehr befriedigend und erfüllend sein – schließlich kennt ihr eure Körper sehr gut.
Die Phase der engen Bindung bleibt häufig für immer bestehen. Kommt es zu einer späten Trennung, wenn du euch eigentlich in einem ruhigen Fahrwasser wähntest, war wahrscheinlich die Kommunikation schon lange gestört: Menschen, die sich in ihrer Partnerschaft nicht richtig verstanden fühlen und die sich nicht trauen, über ihre Wünsche, Bedürfnisse, Schwächen und Ängste zu sprechen, kapseln sich meist innerlich ab. In solchen Fällen ist es möglich, dass sie eine späte Trennung als Befreiungsschlag sehen. Dem könnt ihr nur entgegenwirken, indem ihr immer offen, loyal und unterstützend miteinander umgeht: Seid einander der Hafen, den ihr braucht.